Herzstücke
Ulrike Neu
Sinnliche Farbenspiele in Magenta, Petrol und Gelbgrün, heiter beschwingte Pastelltöne und kraftvolle Konturen formieren sich auf den zweiten Blick zu der sommerlichen Berglandschaft am „Eider See“ oder enthüllen die üppigen Rundungen einer „Frau in Gold“. Wie der Hektik des venezianischen Karnevals entflohen, verharren geschnäbelte Wesen für einen Ruhemoment auf der Leinwand. Dort wandeln sie sich in eine unangreifbar wirkende „Frau in Blau“ oder eine „Vornehme Dame“. Neugierig beäugt diese mit langem Hals die Welt. In blassem Blaugrau, Türkis und dezentem Rosa wirkt sie zunächst abweisend distanziert, doch gleichzeitig scheint sich in ihrem Innern eine Energiesäule tänzerisch aus einem Korsett der Konventionen zu befreien.
Seit dem 3. Juli 2018 zeigt die FLEXIM Galerie eine Auswahl der Bilder der Schauspielerin und Malerin Ulrike Neu. In den letzten zehn Jahren entstanden die groß- und mittelformatigen Arbeiten, die den lichtdurchfluteten Boulevard und Empfangsbereich der Geschäftsführung mit leuchtenden Farben bereichern. Gemalt hat Ulrike Neu schon immer. Im Saarland geboren und aufgewachsen, verlaufen ihre Wege über Wien und den Gardasee nach Berlin. Schon in der Schulzeit hat sie Unterricht bei August Clüsserath, später besucht sie etliche Fortbildungen in Malerei in Worpswede. Doch ihr Berufsleben arbeitet sie als Schauspielerin am Staatstheater Saarbrücken, verschiedenen Landestheatern und freien Gruppen, schreibt Märchen für Kinder und Kammerstücke für Erwachsene. Ihre Bilder finden sich in Galerien in Jena, Lobeda und zukünftig auch in Poehl.
Mit Pinsel und Spachtel verarbeitet Ulrike Neu pastöse Acryl- und Ölfarben, nutzt die blasigen Effekte ihrer chemischen Reaktionen, kratzt abblätterndes Material ab und wiederholt den Prozess. Es entsteht ein rauer Schraffur Effekt, der die Farben des Untergrunds gleichzeitig vermischt und voneinander abgrenzt. Darüber finden zerrissene Papiertüten und Folienfetzen, alte Obstnetze, Putzlappen und Strümpfe, Erde und Sand ihren Platz auf der Leinwand und verdichten sich zu einer brodelnden Masse. Fest verkleistert und übermalt, verleihen sie den ausdrucksstarken Gemälden eine verletzliche Struktur.
Die energiegeladen dahingeworfenen Linien in satten Rot und Blau Tönen verbinden sich zu organischen und geometrische Formen mit dynamischen Akzenten in Gold. Leidenschaftlich überströmend und provokant sind ihre Frauenbilder mit erotisch sanften Rundungen. Daneben dominieren abstrakte Berglandschaften mit absurd anmutenden Farbspielen, deren fast künstliche Intensität sonst nur in Höhenlagen durch Luftspiegelungen und Lichtbrechungen entstehen kann. Ulrike Neu lässt die Leinwand zu einer Kollage der Gefühle werden und zu einem Heilmittel schmerzhafte Schicksalsschläge zu bewältigen. „Dunkelheit“ und „Einsamkeit“ münden in den Trauermarsch zum Grab eines geliebten Menschen, doch aus der Körpermitte der Frau „Im Traum“ perlt neue Lebenskraft hervor.
Die vielseitige Künstlerin lässt sich in ihrer Malerei von Intuition und Gefühlen leiten. Sie schaut, was auf der Leinwand erscheint, um das Motiv anschließend bewusst weiter zu gestalten. Das Bild kommandiert diesen Verlauf und sie hat gehorsam zu sein. Auf den ersten Blick wirken die Ergebnisse fordernd und ungestüm, doch gleichzeitig entsteht eine Distanz zum Bildgeschehen. Wer sich auf die Wildheit des ersten Eindrucks einlässt, vernimmt einen pulsierenden Herzschlag im Einklang mit der Natur und eine Essenz von Weiblichkeit.
Text: Sigrid Fontana